Die goldene Sensation blieb aus, doch auch mit der Silbermedaille im Gepäck dürfen die deutschen Eishockey-Cracks erhobenen Hauptes die Heimreise von der WM antreten.
Marcel Noebels kniete auf dem Eis und starrte in Richtung der kanadischen Jubeltraube, der junge Verteidiger Moritz Seider zuckte ein bisschen ratlos mit den Schultern, und Kapitän Moritz Müller nahm eher gleichgültig die Auszeichnung als bester deutscher Spieler entgegen: Die Freude über WM-Silber war der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft unmittelbar nach dem 2:5 (1:1, 1:1, 0:3) im Finale gegen Rekord-Weltmeister Kanada noch nicht so recht anzusehen, die Enttäuschung überwog.
"Natürlich bin ich sehr, sehr stolz auf die Mannschaft", sagte Bundestrainer Harold Kreis bei "Sport1": "Ich kann sagen, der Tank ist leer, alle haben alles gegeben. Es ist zwar in Anführung nur Silber, aber wir haben was gewonnen und nichts verloren."
"Der Schmerz sitzt tief, es war einfach mehr drin, es hätte so gut gepasst", sagte Torhüter Mathias Niederberger: "Wir haben ein Wahnsinnsturnier gespielt und können stolz auf uns sein, auch wenn es jetzt sehr, sehr hart ist." Die Mannschaft habe "gezeigt, wie gut wie deutschen Spieler sind, mittlerweile auf Augenhöhe mit allen anderen Nationen. Und es sind viele junge Leute dabei, da kommt noch mehr."
Auch bei Moritz Müller überwog "im ersten Moment die Enttäuschung. Wir hatten alles, was wir gebraucht hätten, um zu gewinnen, aber so ist der Sport." Das Team habe "Unglaubliches erreicht. Wir hatten hier eine ganz tolle Truppe zusammen, und ich glaube, der Glaube an uns selbst wächst."
Der erste WM-Titel in der deutschen Eishockey-Geschichte blieb zwar ein Traum, doch die erste WM-Medaille seit 70 Jahren ist auf dem Rückflug im Gepäck. Eine besondere Auszeichnung gab es noch für John-Jason Peterka, der auf dem Eis bittere Tränen vergoss: Er wurde als bester Stürmer des Turniers ausgezeichnet und zusammen mit Seider ins Allstar-Team berufen.
Kanada und Lettland schreiben Geschichte
NHL-Stürmer Peterka (8.) und der Düsseldorfer Daniel Fischbuch (34.) brachten vor 10.470 Zuschauern in der Nokia Arena die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), die damit den zweiten Platz bei den Olympischen Spielen 2018 wiederholte, zweimal in Führung. Doch Samuel Blais (11., 45.), Lawson Crouse (38.), Tyler Toffoli (52.) und Scott Laughton (59.) krönten Kanada zum 28. Mal zum Weltmeister und damit zum alleinigen Rekordtitelträger.
Schon am Nachmittag hatte sich Historisches ereignet: Lettland gewann seine erste Eishockey-Medaille - frenetisch gefeiert von rund 8000 Landsleuten, die beim 4:3 (2:2, 0:0, 1:1, 1:0) nach Verlängerung gegen die USA in Tampere für Heimspielatmosphäre sorgten. Kristians Rubins war der Matchwinner des Co-Gastgebers: Erst erzwang er mit dem Ausgleich (55.) die Verlängerung, dann traf er nach 82 Sekunden in der Overtime zur Entscheidung. Danach kannte der Jubel um das Team des Iserlohner Kapitäns Kaspars Daugavins keine Grenzen mehr.
Kreis setzt auf sein Glückshemd
Die deutschen Spieler hatten schon am Samstag mit dem 4:3 nach Verlängerung gegen die Amerikaner einen weiteren emotionalen Höhepunkt erlebt. "Der Glaube an uns im Vorfeld des Turniers war aus der Heimat nicht unglaublich groß", sagte Kapitän Moritz Müller, der bereits zum Silber-Team bei Olympia 2018 gehört hatte, "aber wir haben gemerkt: Diese Mannschaft hat unglaublich viel Potenzial und ist mental stark. Deswegen sind wir im Finale."
Bundestrainer Harold Kreis verzichtete - ein wenig abergläubisch - im Finale auf ein frisches Outfit. Der 64-Jährige zog wieder sein weißes Glückshemd an. "Ich trage es zum siebten Mal, mit dem Hemd haben wir immer gewonnen", sagte er, "heute wird's nicht gebügelt, heute wird's so getragen, wie ich es gestern ausgezogen habe. Heute gehe ich mit dem Kampfhemd ins Spiel hinein."
Zwei Führungen reichen Deutschland nicht
Sein Team begann selbstbewusst - angefeuert von den finnischen Zuschauern mit "Deutschland, Deutschland"-Rufen. Und jubelte über das erste Tor, als Peterka aus spitzem Winkel traf. Kanadas Trainer Andre Tourigny verlangte den Videobeweis, weil er ein Abseits gesehen haben wollte. Doch der sechste Turniertreffer des 21-jährigen Peterka zählte. Allerdings antwortete Kanada sportlich: Blais glich nur drei Minuten später aus.
In einem zerfahrenen zweiten Drittel fiel die erneute Führung praktisch aus dem Nichts: Fischbuchs Schuss rutschte Torhüter Samuel Montembeault unter dem Arm durch. Vor dem 2:2 übersahen die Schiedsrichter ein klares Foul an Verteidiger Kai Wissmann. Im letzten Drittel ließen die Kanadier dann nichts mehr anbrennen.