Das erste offizielle Skifliegen der Frauen am 19. März dieses Jahres schlug große Wellen. Befürworter fieberten diesem historischen Moment entgegen, Kritiker wie Ex-"ZDF"-Experte Toni Innauer warnten bis zuletzt vor den großen Gefahren. Genau diesen Kritikern widerspricht nun eine Studie aus Norwegen.
"Wir haben gezeigt, dass wir Skifliegen können und die kritischen Stimmen im Unrecht waren", bilanzierte DSV-Athletin Selina Freitag nach der Skiflug-Premiere stellvertretend für die 15 Teilnehmerinnen.
In den gut zwei Monaten seit dem historischen Tag ist einiges passiert: Das Skifliegen erhielt inzwischen Weltcup-Status, nachdem es vorher nur Teil der Raw-Air-Tour war. In Vikersund wurde die Anzahl der Wettkämpfe zudem von einem auf zwei erhöht.
Ganz verstummt sind die kritischen Stimmen, die die Entwicklungen seit jeher begleitet haben nicht, aber merklich ruhiger geworden. Eine wissenschaftliche Studie lieferte nun neue Erkenntnisse zur Debatte.
Dr. Ola Elfmark von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) ging der Frage nach, ob das Skifliegen für Frauen gefährlicher ist als für Männer und lieferte eine klare Antwort: "Skifliegen ist für alle gefährlich, aber es hat nicht im Geringsten etwas mit dem Geschlecht zu tun."
Die Daten aus Vikersund, die der Skisprung-Aerodynamiker ausgewertet hat, "liefern keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass das Verletzungsrisiko für Frauen größer ist als für Männer" und widerlegen somit Bedenken, wie sie etwa der ehemalige "ZDF"-Experte Toni Innauer im vergangenen Sommer in einem offenen Brief an den Internationalen Ski- und Snowboardverband (FIS) geäußert hatte.
Entsprechend positiv äußerte sich Norwegens Rekordhalterin Maren Lundby im Gespräch mit sport.de: "Es ist großartig, dass sich die Wissenschaft damit auseinandersetzt und zeigt, wie die Sache wirklich ist." Teamkollegin Anna Odine Strøm pflichtete ihr bei: "Es bestätigt nochmal das, was uns bereits nach dem Wettkampf bewusst war."
Weder die Größe der Schanze noch die Sprungweite stellen eine höhere Gefahr dar – mehr noch: Beides trägt dazu bei, dass die Unterschiede zwischen Frauen und Männern geringer sind als auf kleineren Schanzen. "Die Athletinnen haben Leistungen auf hohem Niveau gezeigt, mit wenigen Versuchen, bei denen die Anlaufgeschwindigkeiten in Bereichen lagen, mit denen die Männer zuvor unterwegs waren", so Elfmark.
Gesamtweltcupsiegerin Pinkelnig: "Werden auch auf kleineren Schanzen noch besser"
Die höchste gemessene Anlaufgeschwindigkeit bei den 90 Frauen-Flügen waren 103,7 km/h – also genauso viel wie Marius Lindvik bei einem seiner Flüge zum Skiflug-Weltmeistertitel auf derselben Schanze ein Jahr zuvor.
Weil die Absprungkraft auf Flugschanzen nicht so relevant wie auf kleineren Schanzen ist, prognostiziert der Wissenschaftler deshalb, dass sich die Anlaufgeschwindigkeiten der Frauen jenen der Männer weiter annähern, je mehr Erfahrung sie auf Flugschanzen sammeln.
"Ich bin fest davon überzeugt, dass diese wertvollen Erkenntnisse unserem Sport nur weiterhelfen können. Mit dieser Erfahrung und dem Wissen werden wir auch auf kleineren Schanzen noch besser. Gerade die jüngeren Athletinnen wie Alexandria Loutitt (Großschanzen-Weltmeisterin in Planica und Ex-Weltrekordhalterin mit 225 Meter, Anm. d. Red.) werden noch größere Entwicklungsschritte machen", führte Gesamtweltcupsiegerin Eva Pinkelnig im Gespräch mit sport.de aus.
Die ersten Weichen dafür wurden bereits gestellt: Der slowenische Verband stellte bei der FIS einen Antrag, 2028 die erste Skiflug-WM für die Frauen auszurichten. "Diese Schanze würde ich sehr gerne mal ausprobieren“, meinte Lundby vielsagend dazu.
Strøm legte sogar noch einen drauf: "Ich möchte alle Skiflugschanzen testen, um herauszufinden, welche die coolste ist!" Die Zeichen dafür, dass es auch so kommen wird, stehen besser als je zuvor.
Luis Holuch