Denise Herrmann-Wick beendet ihre erfolgreiche Biathlon-Karriere märchenhaft. Durch den Rücktritt von Bundestrainer Mark Kirchner steht auch bei den Männern ein Umbruch an.
Völlig von ihren Gefühlen übermannt, vergoss Denise Herrmann-Wick im Zielraum Tränen. Nach den letzten Metern ihrer großen Biathlon-Karriere konnte sich die Olympiasiegerin vor Umarmungen kaum retten. "Es ist alles gerade total überwältigend. Dass es jetzt vorbei sein soll, geht mir nicht in den Kopf", sagte sie.
Dann streifte sich Herrmann-Wick einen roten Superman-Umhang mit "D"-Aufdruck um und spritzte wild mit Sekt um sich. Mit ihrem Triumph im Sprint von Oslo hatte es die Weltmeisterin tags zuvor noch einmal allen gezeigt. Im ungeliebten Massenstart verabschiedete sie sich bei tiefem Nebel am berühmten Holmenkollen trotz dreier Schießfehler als starke Sechste endgültig in die Biathlon-Rente.
Im Schatten des emotionalen Abschieds begeisterte eine ihrer Teamkolleginnen mit ihrem besten Karriereergebnis: Hanna Kebinger schoss nur einmal daneben und verfehlte das Podest um drei Sekunden. "Ich kann nur über das ganze Gesicht strahlen. Es ist unglaublich", sagte sie: "Vielleicht kann ich nächstes Jahr einen Schritt weiter gehen."
Herrmann-Wick hatte ihr finales Meisterstück nach zwei fehlerfreien Schießeinlagen bereits tags zuvor hingelegt. Durch ihren Sprint-Sieg durfte sie ausgerechnet bei ihrer letzten Weltcup-Reise nach Oslo erstmals in der Loge des norwegischen Königs Platz nehmen - und mit einem breiten Grinsen im Gesicht mit Harald V. plaudern.
Obendrein sicherte sie sich wie schon in der Saison 2019/20 die kleine Kristallkugel für die Disziplinwertung. Da der Sprint wegen zu starken Nebels am Freitag um einen Tag verschoben worden war, entfiel die Verfolgung.
Der Deutsche Skiverband verliert nach Magdalena Neuner, die 2011 mit nur 24 zurückgetreten war, und Laura Dahlmeier, die 2019 im Alter von 25 keine Motivation mehr hatte, erneut ein Aushängeschild. Die viermalige Junioren-Weltmeisterin Selina Grotian, der im Sprint von Oslo als 40. ein solides Weltcup-Debüt gelang, gilt langfristig als eine mögliche Nachfolgerin.
Auch bei den Männern kommt es zu einer einschneidenden Veränderung: Als Benedikt Doll gerade mehr als zweieinhalb Minuten nach Dauersieger Johannes Thingnes Bö ins Ziel des Massenstarts getrudelt war, sorgte der Bundestrainer am Sonntag mit einer unerwarteten Ankündigung für Aufsehen: Sichtlich bewegt gab Mark Kirchner am "ARD"-Mikrofon seinen Rücktritt bekannt.
Die deutschen Skijäger müssen bei ihrer angestrebten Rückkehr an die Weltspitze auf die jahrzehntelange Expertise des dreimaligen Olympiasiegers verzichten. "Jetzt ist für mich der Zeitpunkt gekommen, um den Weg für neue Impulse freizumachen", sagte Kirchner und sprach von "33 intensiven Jahren mit ganz vielen emotionalen Highlights", allerdings "auch einigen Enttäuschungen".
Nach drei Jahrzehnten im Weltcup, davon zuletzt 13 als Leitender Disziplintrainer der Männer, zieht sich Kirchner in die zweite Reihe zurück. Seine Nachfolge werden der bisherige Co-Trainer Uros Velepec und der ehemalige Ski-Langläufer Jens Filbrich als Duo antreten.
Nach einer achtmonatigen Pause beginnt am 25. November in Östersund die neue Saison. Höhepunkt des Winters wird die WM im tschechischen Nove Mesto (5. bis 18. Februar 2024) sein - ohne Kirchner und ohne Herrmann-Wick.