Beim Sinquefield Cup in St. Louis verliert Schach-Superstar Magnus Carlsen völlig überraschend gegen den Weltranglisten-49. Hans Niemann. Wenig später verkündet der Norweger via Twitter seinen Rückzug vom Turnier - und deutet an, dass sein Gegner womöglich betrogen hat.
Magnus Carlsen hat die Schach-Welt mit seinem unerwarteten Rückzug vom prestigeträchtigen Sinquefield Cup in St. Louis in helle Aufregung versetzt. Nach seiner Niederlage gegen den US-Amerikaner Hans Niemann (19) verkündete der Superstar via Twitter, dass er mit sofortiger Wirkung nach nur drei von neun Runden aus dem Turnier aussteigen wird.
Zu seiner Rückzugsankündigung postete Carlsen ein Video von Fußball-Trainer José Mourinho, in dem der Portugiese in einem Interview sagt: "Ich bevorzuge es, nicht zu reden. Wenn ich etwas sage, bin ich in großen Schwierigkeiten."
Für viele aktive Spieler und Experten ist die Sache klar: Mit seinem Twitter-Post erhebt der Norweger direkte Betrugsvorwürfe gegen Niemann, der Carlsens Serie von 53 klassischen Partien in Folge ohne Niederlage sensationell beendete.
"Auf dem Top-Level noch nicht gesehen"
Großmeister Hikaru Nakamura gehört zu denen, die sich auf Carlsens Seite geschlagen haben und den Verdacht gegen Niemann stützen. In seinem Twitch-Stream analysierte Nakamura einige Züge von Niemann sowie dessen Aussagen nach dem Spiel. Sein Ergebnis: Etwas passt nicht zusammen.
Was Nakamura besonders seltsam findet: Niemann bereitete sich laut eigener Aussage auf bestimmte Züge Carlsens aus der Vergangenheit vor, die Schach-Datenbanken beweisen aber, dass Carlsen besagte Züge noch nie gespielt hat. Das erhärtet nicht zwingend den Betrugsverdacht, wirft aber einige Fragen auf.
Mehr dazu: Carlsen-Opfer feuert nach Betrugsvorwürfen zurück
"Ich denke, dass Magnus glaubt, dass Hans wahrscheinlich in dem Spiel betrogen hat. Wenn er nicht wirklich davon überzeugt wäre, würde er so etwas niemals machen. [...] Mit seinem Rückzug macht er das jetzt deutlich, ohne dass er es öffentlich sagt", erklärte Nakamura.
Der norwegische Schach-Experte Torstein Bae stimmt zu und sagt: "Magnus hat etwas getan, was er noch nie getan hat. Auf dem Top-Level haben wir so etwas noch nicht gesehen." Es sei "am wahrscheinlichsten", dass Carlsen seinem Gegner Betrug vorwirft.
Nicht die ersten Vorwürfe gegen Niemann
Besonders pikant: Es ist nicht das erste Mal, dass Betrugsvorwürfe gegen Hans Niemann laut werden.
In der Vergangenheit wurde der US-Amerikaner Gerüchten zufolge schon zwei Mal von der Plattform "chess.com" verbannt, weil er während seiner Spiele die Hilfe eines Schach-Computers in Anspruch genommen haben soll - ein absolutes No Go und strengstens untersagt. In Kreisen der Top-Spieler habe sich dies bereits herumgesprochen, hieß es auf einem bekannten Twitter-Account, der Schach-Content postet.
Das große Aber: So groß der Verdacht des Betrugs gegen Niemann auch ist, noch liegen keine konkreten Beweise vor - im Gegenteil. Die Partie gegen Carlsen wurde längst von unzähligen Spielern und Experten analysiert. Das Ergebnis: Niemann spielte eine gute Partie, aber keine, die zwingend Computer-Unterstützung vermuten lässt.
Carlsens Spiel gegen Niemann in der Analyse (englisch):
Der bekannte Großmeister Levon Aronian rät der Szene darum auch, den Ball zunächst noch flach zu halten.
"Es passiert sehr oft, dass Vorwürfe gegen junge Spieler erhoben werden, wenn sie sehr gut spielen. Alle meine Kollegen sind im Grunde paranoid. Ich war sehr oft derjenige, der ihnen gesagt hat: Kommt schon, Leute. Auch junge Spieler können sehr gut spielen", sagte Aronian gegenüber "chess.com".
Noch fällt es vielen in der Szene allerdings schwer, Niemann einfach "nur" ein gutes Spiel zu attestieren. Der 19-Jährige selbst zeigte sich überrascht von Carlsens Rückzug und sprach von einer "seltsamen Entscheidung" des Superstars. "Aber immerhin konnte ich ihn schlagen, bevor er gegangen ist", sagte Niemann, der sich zu den Vorwürfen des Norwegers nicht konkret äußerte.

