Auf dem Fahrermarkt der Formel 1 ist wieder Ruhe eingekehrt. 19 von 20 Cockpits sind mit Blick auf die Saison 2022 vergeben. Das Rennen um den letzten freien Platz ist dafür umso heißer. Zahlreiche Piloten hoffen auf das große Los. Für wen sich Alfa Romeo entscheiden wird, ist noch immer offen.
Der Countdown läuft. Nach dem Rennwochenende in Sochi will Alfa Romeo bekanntgeben, wer in der kommenden Saison das zweite Cockpit neben Neuzugang Valtteri Bottas bekommt. So hat es Teamchef Frédéric Vasseur vor wenigen Tagen angekündigt.
Warum sich der Rennstall so lange mit seiner Entscheidung Zeit lässt, liegt auf der Hand: Es gibt unzählige Optionen, die alle sorgsam und im Interesse des Teams abgewägt werden müssen. Wer kommt für das Cockpit infrage? Wer hat gute, wer kaum Chancen auf den Platz? sport.de nimmt die Kandidaten unter die Lupe.
Der Italiener wäre für Alfa die sicherste Variante. Sicher in dem Sinne, dass der Rennstall weiß, was er von Giovinazzi erwarten kann - und was nicht. Fahrerisch und ergebnistechnisch hat der 27-Jährige die Sterne in seinen drei Jahren im Team nicht vom Himmel geholt. Acht Top-Ten-Platzierungen in 52 Rennen sind nicht viel. Zum Vergleich: Räikkönen fuhr im gleichen Zeitraum in 50 Rennen 13 Mal in die Top 10.
Nichtsdestotrotz ist die Tür für Giovinazzi weiterhin offen. Vielleicht auch deshalb, weil Vasseur die guten Verbindungen zu Ferrari nicht aufs Spiel setzen möchte. Zwar ist Alfa 2022 nicht mehr dazu verpflichtet, einen Scuderia-Fahrer ins Cockpit zu setzen. Allerdings würde man dies in Maranello sicher wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Und ein gutes Verhältnis zu den Roten kann bekanntlich nicht schaden.
Der Chinese hat in den letzten Tagen für Schlagzeilen gesorgt. Grund ist sein vermeintliches Sponsoren-Paket in Höhe von 30 Millionen US-Dollar, das Zhou mit zu Alfa bringen würde. Vasseur hat diese Summe zwar schon als "Bullshit" abgetan. Klar ist aber, dass der Formel-2-Pilot sehrwohl für finanzielle Entlastung sorgen würde - vermutlich sogar in sehr gesundem Ausmaß. Außerdem würde er Alfa den Einstieg in den gigantischen chinesischen Markt eröffnen. Und Autofahren kann der 22-Jährige übrigens auch.
Verhandlungen zwischen den Parteien sollen längst laufen. Größter Knackpunkt: die Vertragslaufzeit. Zhou fordert angeblich einen Platz für mindestens zwei Jahre, Alfa will ihm aber nur eins bieten. Das ist sicher eine Hürde, aber keine unüberwindbare.
Kubica selbst wollte einen Platz bei Alfa 2022 zuletzt nicht ausschließen. "Man sollte niemals nie sagen", sagte der 36-Jährige auf entsprechende Nachfrage. Allerdings weiß auch der Pole, dass er in der Nahrungskette weit unten steht - Sponsoren-Gelder hin oder her.
Gegen den Routinier spricht naturgemäß sein Alter. Kubica ist kein Mann für die Zukunft, genau diesen sucht Alfa aber. Für den Polen kommt somit eigentlich nur ein Szenario infrage: Der Rennstall sucht einen "günstigen" Fahrer für ein Übergangsjahr, um dann 2023 einen der eigenen Youngster im Cockpit zu platzieren.
Seit drei Jahren wird der Niederländer nun schon in jeder Silly Season als möglicher Formel-1-Einsteiger gehandelt. Gereicht hat es für de Vries bisher aber noch nicht. Toto Wolff verriet Anfang September, dass der 26-Jährige in Verhandlungen steht. Nach "RTL"-Infos auch mit Alfa Romeo, wo er zwischenzeitlich gar als Favorit gehandelt wurde.
Das große Ganze könnte dem Niederländer nun wieder zum Verhängnis werden, denn: Alfa soll darüber nachgedacht haben, 2022 auf Mercedes-Motoren zu wechseln. Das hätte den Weg für de Vries geebnet. Jetzt läuft wieder alles auf Ferrari als Motorenpartner Alfas hinaus und "es ist für uns viel einfacher, mit einem Fahrer zu verhandeln, der bei Ferrari unter Vertrag steht", sagte Vasseur, der den Fall de Vries als "kompliziert" bezeichnete.
Der erst 18-jährige Franzose ist der eigentliche Wunschkandidat Alfas, weil er aus dem eigenen Stall kommt. Aber teamintern ist man der Meinung, ein Einstieg in die Königsklasse käme für den Teenager noch zu früh. Der Fünfte der aktuellen Formel-2-Wertung soll im Unterhaus erst noch Erfahrung sammeln.
Pourchaire könnte dennoch eine der Schlüsselfiguren im Rennen um das Alfa-Cockpit für 2022 werden. Der Grund: Will der Rennstall ihn 2023 in die Formel 1 befördern, dürften sie dem kommenden Fahrer nur einen Einjahresvertrag bieten. Etwas, das zum Beispiel Zhou nicht möchte, für Kubica oder Giovinazzi aber durchaus reizvoll wäre.
Trotz überragenden Ergebnissen in der Formel Renault, der Formel 3 und der Formel 2 macht die Formel 1 wohl einen Bogen um Oscar Piastri. Wie Zhou Guanyu, kommt auch er aus dem Alpine-Stall. Nur bringt der 20-Jährige im Vergleich zum Chinesen keine zweistellige Millionensumme mit. Das schwächt seine Verhandlungsposition entscheidend.
"Es gibt einen einzigen Platz und höllisch viele Fahrer wollen ihn. Um ehrlich zu sein, sind meine Chancen sehr klein", schätzt Piastri seine Perspektive realistisch ein. Der von Mark Webber betreute Australier hat bereits den Tipp bekommen, in diesem Jahr absichtlich zu verlieren, um 2022 weiter in der Formel 2 an den Start gehen zu dürfen [der Meister muss die F2 verlassen, Anm.d.Red.]: "Aber das ist einfach nur dumm. Ich will gewinnen und wäre sehr genervt, wenn sich daraus in der Zukunft nicht etwas ergibt."
Alfa muss zwar keinen Ferrari-Junior mehr ins Cockpit setzen, kann dies aber natürlich nach wie vor tun. Der Russe Shwartzman gehört daher ebenfalls zum Kandidatenkreis. Wie übrigens auch Callum Ilott, der in diesem Jahr schon als Reservefahrer für Alfa eingeplant ist. Für beide spricht die Verbindung zu Ferrari und das zweifellos vorhandene Potenzial.
Ilott wird es am Ende wohl nicht werden. Wenn Alfa den Briten ernsthaft in Betracht ziehen würde, hätte ihn der Rennstall schon längst bestätigen und die Gerüchte beenden können. Abgesehen davon gilt Shwartzman eigentlich auch als der talentierte. Der Russe ist eine realistische Option, wenn seine Karten auch nicht so gut sind wie die einiger anderer Kandidaten.
Christian Schenzel