69 Mal stand Wladimir Klitschko während seiner Profi-Karriere im Ring. 64 Mal kletterte der Ex-Weltmeister abschließend als Sieger durch die Seile. Die dubioseste seiner fünf Niederlagen kassierte der Ukrainer am 10. April 2004 gegen den US-Amerikaner Lamon Brewster. Bis heute ist nicht sicher, ob an dem Abend in Las Vegas alles mit rechten Dingen zuging.
Die Vorzeichen vor dem Duell im Mandalay Bay Resort & Casino um den vakanten WBO-Titel waren eindeutig: Auf der einen Seite stand Wladimir Klitschko, ein 28-jähriger Ukrainer, der (scheinbar) im Vollbesitz seiner Kräfte und boxerischen Fähigkeiten den nächsten Anlauf auf den Box-Thron startete. In der anderen Ecke wartete Lamon Brewster, ein durchaus erfolgreicher, technisch jedoch limitierter Kämpfer, der vor dem Duell gegen Klitschko zwar 29 seiner 31 Profi-Kämpfe gewann, dabei aber oft nur "Fallobst" vor die Fäuste bekam.
Die Zuschauer in Vegas und vor den TV-Bildschirmen stellten sich dementsprechend auf einen kurzen Kampf ein. Und Klitschko tat in den ersten Runden alles dafür, um seiner Favoritenrolle gerecht zu werden. "Dr. Steelhammer" ließ die Fäuste nur so fliegen und deckte seinen überforderten Gegner mit krachenden Jabs, wuchtigen Haken und präzisen Geraden ein.

45:5 Treffer nach zwei Runden
Schon nach der zweiten Runde redete die Ecke von Brewster flehend auf den hoffnungslos unterlegenen Außenseiter ein: "Du darfst ihn nicht schlagen lassen, du musst nach vorne gehen, greif ihn an." Umsetzen konnte der Underdog die Vorgaben nicht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Klitschko alleine 45 Jabs ins Ziel gebracht, Brewster dagegen überhaupt nur fünf Treffer gelandet.
In der vierten Runde geschah schließlich das Unvermeidliche: Binnen Sekunden schlugen zwei Rechte Hammer von Klitschko am Kinn von Brewster ein. Der Count des Ringrichters Robert Byrd dauerte bis zur Acht - dann stand Brewster wieder. Klitschko setzte seinen wankenden Kontrahenten weiter unter Druck, doch Brewster klammerte als ginge es um sein Leben und rettete sich irgendwie in die nächste Pause.
Brewster bläst zum Gegenangriff
Nach kurzem Abtasten zu Beginn der fünften Runde setzte Klitschko drei, vier, fünf heftige Wirkungstreffer nacheinander. Das Kampfende schien spätestens jetzt nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Aber der Ukrainer setzte nicht nach und gab seinem Gegner Zeit zum Durchatmen. Brewster nutzte die Pause und blies 50 Sekunden vor dem Ende der Runde zum Gegenangriff.
Zwei linke Haken, eine Gerade und noch ein linker Haken trafen Klitschkos Kinn aus heiterem Himmel. Der Ukrainer taumelte in die Ecke, Brewster verfolgte ihn und setzte seine Schlag-Serie fort. Die Zuschauer sprangen auf und verwandelten die Halle vor lauter Aufregung in ein Tollhaus. "Wenn Klitschko von Lamon Brewster K.o. gehauen wird, sollte er mit dem Boxen aufhören", brüllten die US-Kommentatoren euphorisch in ihre Mikrofone.
Zwar rettete sich Klitschko bis zum Gong, doch als die Glocke ertönte, ging der schwer angeschlagene Favorit zu Boden. Byrd sprach Klitschko an, aber der reagierte nicht. Der Ringrichter sah sich gezwungen, den Kampf sofort abzubrechen. "Ich wollte eine Antwort von ihm, aber es kam nichts. Auf diese Weise musste ich in meiner gesamten Karriere keinen Kampf abbrechen", erklärte Byrd später.

Blut- und Urinprobe auf mysteriöse Weise verschwunden
Wer gedacht hätte, dass der Gong am Ende der fünften Runde auch das Ende des Kampfes bedeuten sollte, sah sich getäuscht. Rund einen Monat später ließ Klitschko über einen Anwalt verlauten, dass die Niederlage von den Behören untersucht werden soll. Der Grund: Nach dem Fight waren sowohl die Urin- als auch die Blutprobe von Klitschko auf mysteriöse Weise verschwunden. Das Warum und Wohin ist bis heute ungeklärt.
Passend dazu gab es auf dem Wettmarkt einige ungewöhnliche Entwicklungen: So sank die Quote auf einen Sieg Brewsters an jenem Samstag von 11:1 auf 3,5:1 - ein klares Zeichen dafür, dass jemand bzw. mehrere Wetter eine große Menge Geld auf einen Sieg des Underdogs gesetzt hatten. Alles Zufall?
Klitschko selbst sagte nach dem Kampf, dass er sich nach der zweiten Runde wie "unter Drogen gefühlt" und "Beine wie Gummi gehabt" habe. Spekulationen darüber, ob Klitschko an jenem Abend betäubt, vergiftet oder tatsächlich unter Drogen gesetzt wurde, halten sich bis heute. Weitere wilde Verschwörungstheorien beinhalten die russische Mafia, Bestechung durch Promoter-Legende Don King und eine Diabetes-Erkrankung Klitschkos, die sich beim Kampf negativ ausgewirkt haben soll.
Was letztlich dazu führte, dass Wladimir Klitschko einen sicheren Sieg noch aus der Hand gab und sich einem Gegner geschlagen geben musste, den er im Rückkampf drei Jahre später auseinander nahm (Abbruch in der sechsten Runde), wird wohl für immer im Verborgenen bleiben.

Christian Schenzel